Freitagvormittag: Feruza Negash steht im Labor und prüft im QS-Labor der Epichlorhydrinanlage eine aktuelle Probe aus der Produktion. Diese Chemikalie, die hier in der Leuna Harze GmbH hergestellt wird, ist wichtig für das Endprodukt des Unternehmens: Epoxidharz-Systeme. „Man findet Kunstharze zum Beispiel in Lacken und Klebstoffen, Bodenversiegelungen auf dem Bau oder in Spachtelmasse“, berichtet die Chemielaborantin im 3. Lehrjahr. „Sie werden aber auch für Faserverbundwerkstoffe eingesetzt, beispielsweise zur Produktion von Windkraft-Rotorblättern.“
Von Addis Abeba nach Leuna
Epichlorhydrin ist nicht ohne, deshalb sind für die Analyse im Labor hohe Sicherheitsstandards vorgeschrieben. Diese hat sich die 18-Jährige rasch zu eigen gemacht, darf selbstständig arbeiten. Das Vertrauen in ihre Fähigkeiten wird ihr nicht nur bei der speziellen Analysetätigkeit entgegengebracht, „sondern gilt für alle Aufgaben und Arbeiten, die ihr übertragen werden“, weiß Dr. Klaus-Peter Kalk, operativer Leiter des mittelständischen Unternehmens. Schon beim ersten Lesen ihrer Bewerbungsunterlagen war er von der jungen Frau überzeugt.
"Mein Vater hat mir immer wieder anhand von Alltagsgegenständen und -situationen erzählt, was die Chemie damit zu tun hat und erklärt, wie es funktioniert."
Feruza Negash stammt aus Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens. Ihr Vater hatte in den 1980er Jahren in Krefeld Chemie studiert, ging zurück in die Heimat – und hat die Begeisterung für diese Naturwissenschaft an seine Tochter weitergegeben. „Mein Vater hat mir immer wieder anhand von Alltagsgegenständen und -situationen erzählt, was die Chemie damit zu tun hat und erklärt, wie es funktioniert.“ Klar, dass so bei ihr großes Interesse und Neugier auf Chemie geweckt wurden.
„Eigentlich wollte ich studieren“, berichtet Feruza Negash, die in Addis Abeba die Deutsche Schule absolviert hat und deshalb auch perfekt Deutsch spricht. Doch da der Abschluss einem Realschulabschluss hierzulande entspricht, hätte sie für die Studienzulassung weitere drei Jahre die Schulbank drücken müssen. ‚Verlorene Zeit‘, dachte sich die junge Frau, ‚dann mache ich eben in Deutschland eine Berufsausbildung.‘ „Ihre Bewerbungsunterlagen waren exzellent und zwischen den Zeilen konnte man lesen, dass Feruza eine ehrgeizige und zielstrebige Person ist“, erinnert sich Dr. Kalk. Nach dem Vorstellungsgespräch in Leuna war er sich dann ganz sicher: „Die junge Frau wollten wir unbedingt haben.“
Weiterqualifizierung im Blick
Seit August 2018 ist die Äthiopierin nun in Leuna, lernt und arbeitet fleißig, fühlt sich in der Kleinstadt mit der langen Chemietradition, in der sie auch wohnt, als auch im Ausbildungsbetrieb sehr wohl. „Hier zählt, was man leistet und nicht die Hautfarbe oder das Aussehen.“ Anpassungsprobleme hatte die künftige Chemielaborantin keine. „Die deutsche Sprache hatte ich ja schon in der Schule gelernt“, erzählt sie, „und Deutschland kannte ich schon durch viele Urlaube mit der Familie“.
Am Ende dieses Jahres stehen ihr die Abschlussprüfungen ins Haus, die sie natürlich so gut wie möglich absolvieren will. Zum einen des eigenen Ehrgeizes wegen, zum anderen, um sich auf diese Weise beim Unternehmen und seinen Mitarbeitern für diese Chance zu bedanken. Und was kommt dann? „Wir übernehmen die junge Frau, wenn der Abschluss stimmt“, sagt Dr. Kalk, ohne an diesem Ergebnis zu zweifeln. „Und ich werde dann sofort berufsbegleitend die vierjährige Ausbildung zum staatlich geprüften Chemietechniker an der IBLM-Technikerschule in Leuna beginnen“, ist sich Feruza Negash gewiss.