Herr Pietrek, die Studierendenzahlen in Deutschland steigen ständig. Lohnt es sich trotzdem, eine Ausbildung zu machen?
"Die duale Ausbildung nach deutschem Vorbild ist ein Erfolgsmodell – das lässt sich allein schon daran erkennen, wie viele andere Länder derzeit versuchen, das System zu übernehmen. Ich habe viel Kontakt zu Eltern, sei es auf Messen, im Rahmen unserer Bewerbungsverfahren oder im Bekanntenkreis. In den letzten Jahren hat sich immer mehr der Irrglaube durchgesetzt, dass ein Kind entweder studiert oder „scheitert“. Aber das ist nicht so!
Zum Studium gibt es zahlreiche Alternativen – und gerade in der chemischen Industrie brauchen wir auch Führungskräfte, die selbst mal einen Rohrschlüssel in die Hand nehmen können und die Belange der Leute auch wirklich verstehen. Und wenn man heutzutage überhaupt noch von einem „sicheren Arbeitsplatz“ sprechen kann, dann findet man diesen bei uns."
Bekommen Sie noch den Nachwuchs, den Sie benötigen?
"Aktuell finden wir noch genügend Azubis, vor allem im Bereich des Dualen Studiums. Bei allen anderen ist der Aufwand jedoch deutlich gestiegen. Die Bewerberzahlen sind in den letzten zehn Jahren deutlich zurückgegangen, wir konnten sie aber in den letzten drei Jahren auf einem stabilen Niveau halten. In dieser Entwicklung macht sich der demografische Wandel deutlich bemerkbar."
"Nach wie vor suchen wir jedoch nicht unbedingt die besten eines Jahrgangs, sondern diejenigen, die am besten zu uns passen."
Wie haben sich die Anforderungen an die Ausbilder in den letzten Jahren verändert?
"Auf der einen Seite hat die Technik große Sprünge gemacht. Unsere Ausbilder bilden sich selbst permanent weiter – derzeit vor allem in Hinblick auf Digitalisierung und Industrie 4.0. Wir müssen ein moderner und interessanter Ausbildungsstandort bleiben und dafür kontinuierlich mit der Zeit gehen. Daher versuchen wir zu verstehen, wie die Anforderungen unserer Kunden in Zukunft aussehen werden und wollen dahingehend ausbilden.
Gerade schaffen wir zum Beispiel 3D-Drucker an, um unseren Nachwuchs auf neue Formen der Lagerung und Instandhaltung vorzubereiten. In den Unterrichtsräumen führen wir interaktive Whiteboards ein, auf die sich jeder Azubi aufschalten kann. Außerdem haben wir in der Ausbildungswerkstatt Touchpanels an unseren Versuchsanlagen, denn auch die Produktion wird zunehmend digitaler und vernetzter.
Auf der anderen Seite kommen die Azubis heute mit viel größeren persönlichen Belastungen zu uns. Wir Ausbilder müssen inzwischen sensibilisiert für viele Themen sein, von familiären Stresssituationen aller Art über Mobbing hin zum Auftreten unserer Azubis in den Sozialen Medien."
"Das Thema Digitalisierung steht da sicher weit oben auf der Liste. Wir befinden uns gerade inmitten eines riesigen Wandels der Arbeitswelt."
Was macht Ihnen an Ihrer Arbeit derzeit am meisten Spaß?
"Das Thema Digitalisierung steht da sicher weit oben auf der Liste. Wir befinden uns gerade inmitten eines riesigen Wandels der Arbeitswelt. Ich bin ein Mensch, der Veränderungen mag und das Neue liebt – und hier kommen viele spannende Themen und Projekte auf uns zu.
Insgesamt werden dieses Jahr 45 Azubis bei uns anfangen. Es ist phänomenal zu sehen, wie der Nachwuchs sich in den dreieinhalb Jahren Ausbildung verändert und wie die Neuen zu wertvollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Betrieben werden.
Jedes neue Lehrjahr beginnt im September mit einem mehrtägigen Einführungsseminar in Todtmoos im Schwarzwald – hier wachsen die Azubis zu einem Team zusammen und lernen Evonik kennen. Letztes Jahr haben sie die ganze Jugendherberge umdekoriert und als Abschlussveranstaltung eine Fernsehshow aufgeführt. Danach weiß ich immer, warum ich diesen Job mache und liebe."