Im Prinzip darf niemand mehr ohne Ausbildung bleiben. Das heben Wirtschafts- und Verbandsvertreter, aber auch Volkswirte inzwischen einhellig bei jeder Gelegenheit hervor. Es fehlt an Nachwuchs, insbesondere im Bereich der Fachkräfte. Das setzt die Betriebe unter Druck, und es lässt Befürchtungen aufkommen, dass die sozialen Sicherungssysteme einer im Schnitt immer älteren Gesellschaft nicht mehr finanzierbar sein werden.
Chemie bietet Einstiegshilfe in Ausbildung
Beide Probleme löst das Konzept "StartPlus": Junge Erwachsene, die keine Ausbildungsstelle finden, sollen durch qualifizierende Maßnahmen auf den Berufseinstieg vorbereitet werden. Das geschieht nicht auf der Schulbank, sondern in direkter Anbindung an einen Betrieb - und zwar den Betrieb, bei dem die angehenden Azubis anschließend ihre Ausbildung bestreiten sollen.
Dijan Ramovic ist der erste "StartPlus"-Azubi bei der Unternehmensgruppe Rhodius. "Ich hatte meinen Realschulabschluss und wollte Fachabi machen, im Bereich Handel und E-Commerce. Aber das habe ich nach einem Jahr abgebrochen, denn ich wollte arbeiten, mein eigenes Geld verdienen", erzählt Ramovic. Nebenjob reihte sich an Nebenjob. "Ich hatte zwar keine Ausbildung, aber immer einen Job." Rund ein Jahr ging das so. Immerfort schaute der heute 21-Jährige sich um, in welche Richtung es gehen könnte. "Irgendwann bin ich auf Rhodius gestoßen, habe mich beworben, wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen und bekam dort das StartPlus-Angebot vorgestellt", erzählt Ramovic. Inzwischen ist er ganz "regulär" in einer Ausbildung zum Industriekaufmann.
"Verantwortung und Fürsorge zeigen, aktiv sein, das ist gut für die Nachwuchsförderung und für's Image", betont Ute Poncelet.
Die Ausbildungsleiterin bei Rhodius führt aus: "Das Programm bietet Orientierung, einen neuen Sinn in der Lebensführung. Und vielleicht wirkt sich die Motivation, die er durch das StartPlus-Programm bekommt, auch auf wie Mitarbeiterbindung im Allgemeinen aus."
Gezielte Fortbildung für einen guten Start
"Wenn man in die Ausbildung startet, ist das kein Zuckerschlecken", sagt Ramovic. Die StartPlus-Phase dauerte bei ihm neun Monate und lief im Wesentlichen wie eine "normale" Ausbildung ab - nur dass statt Berufsschule gezielte Fortbildung und Einzelunterricht auf dem Programm standen, um den Azubi-Aspiranten fit für die Ausbildung zu machen. Den Part der schulischen und sozialpädagogischen Betreuung übernahm das Christliche Jugenddorfwerk, das zu diesem Zweck erstmals mit Rhodius kooperierte. "Als erstes wurden Rechnungswesen und Englisch aufpoliert", erinnert sich Ramovic, "man kann ja nicht von Null aus starten." "Ansonsten kam er in die gleichen Abteilungen, die er nun auch in der Ausbildung durchläuft", erzählt Ute Poncelet.
Die Persönlichkeit entwickelt sich mit
Am Ende der Start-Plus-Phase stand die Frage an, ob sich Ramovic für die Ausbildung eignet. Die Frage wurde zweifelsfrei mit Ja beantwortet, aber eine Übernahmegarantie gab es, wie bei allen anderen Azubis, im Vorfeld nicht. "Er hat einen großen Sprung in der Entwicklung gemacht", berichtet die Ausbildungsleiterin, "anfangs war er sehr verschlossen, aber das hat sich grundlegend gewandelt." Auf Ramovics Perspektiven nach der Ausbildung angesprochen, antwortet Poncelet wie aus der Pistole geschossen: "Natürlich Übernahme!"
Einen "Schatz heben" = Talente fördern
Der Vorteil für den Arbeitgeber liegt nach Poncelets Ansicht darin, dass man über bis zu zehn Monate die Gelegenheit habe, die Fähigkeiten des Bewerbers einzuschätzen. Und in Zeiten des viel beklagten Fachkräftemangels können auch bislang versteckte Talente zutage gefördert werden - wenn man sie denn erkennt. "Es ist schon etwas schwieriger als bei einem 'normalen' Azubi", sagt Poncelet, "mit der Schule hängt es noch ein bisschen. Aber dieser Kandidat ist es einfach wert!"